Landwehr in Leipzig 2013

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Geschichte der Elb-Landwehr in den Jahren 1813 bis 1815


I. Vorgeschichte


Die preußische Armee hatte nach der Niederlage von 1806 in der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt herbe Einschnitte hinnehmen müssen. So gestand Napoleon Bonaparte Preußens König Friedrich Wilhelm III nur ein Heer von 42.000 Mann zu, das dem Franzosenkaiser bei Bedarf als Hilfstruppe zur Verfügung gestellt werden musste. Für seinen Russlandfeldzug 1812 machte Napoleon tatsächlich von dieser Option Gebrauch.

Um die Wehrfähigkeit des Landes trotz dieser Einschränkungen zu erhalten, führten Militärreformer um den General Scharnhorst ab 1808 das 'Krümpersystem' ein. Soldaten wurden für ein Jahr eingezogen, militärisch ausgebildet und dann wieder ins Zivilleben entlassen. Auf diese Weise baute man eine Personalreserve auf, die den militärischen Widerstand später überhaupt erst möglich machte. Durch Einberufung der Krümper-Reserve konnte man im Frühjahr 1813 das Heer innerhalb kürzester Zeit von 12 auf 24 aktive Regimenter verdoppeln.

Neben dem Krümpersystem zur Stärkung des Feldheeres hatten die Militärreformer die Aufstellung von Landwehren vorgeschlagen. Sie sollten in zweiter Reihe stehen und waren von der Grundidee her eine territorial einzusetzende Verteidigungsformation. Aus dieser Einschränkung traten die Landwehren in der Praxis aber schnell heraus. Im Feldzug von 1815 waren Landwehrregimenter aller Provinzen integraler Bestandteil des Feldheeres und machten fast die Hälfte der Armee Blüchers aus. Anfang 1813 existierte das Konzept der Landwehr jedoch nur auf dem Papier.

Nach dem Untergang der 'Grande Armee' Napoleon Bonapartes im Russlandfeldzug von 1812 entstand ein Machtvakuum in Mitteleuropa. Preußen und andere deutsche Staaten sagten sich nun nach und nach von der erzwungenen Allianz mit Napoleon los. Die führende Rolle in Preußen spielte dabei das Korps des Generals von Yorck, der am zögernden König vorbei im Dezember 1812 in Tauroggen in Ostpreußen einen Neutralitätsspakt mit den anrückenden Russen schloss. Am 5. Februar 1813 trat der ostpreußische Landtag unter Hinzuziehung der westpreußischen Kreise in Königsberg zusammen und beschloss unter anderem die Aufstellung einer Landwehr von insgesamt 30.000 Mann. [Pflug, Landwehrbuch, S.5 ff.]

König Friedrich Wilhelm III war diese Art Volksheer suspekt. Er autorisierte daher zunächst Freiwilligenregimenter, Frei- und Streifkorps. Einzelne Offiziere erhielten Patente zu deren Aufstellung, das bekanntestes in preußischem Dienste stehende Freikorps wurde dasjenige des Majors von Lützow. Erst am 17. März 1813 sagte Friedrich Wilhem III sich von Napoleon los und erklärte Frankreich den Krieg. Nun entstanden in allen nicht besetzten Provinzen Landwehren. Ihr typisches Erscheinungsbild wurden die knielangen dunkelblauen Litewken, weiße Leinenhosen und die heute als Landwehrmützen berühmten 'Tuchschakos'. Die Farbe von Kragen, Ärmelaufschlägen und Mützenbesatz richtete sich nach der Provinz.

Die nachstehende Liste zeigt die Farbvielfalt und gibt an, wieviele Infanterie und Kavallerie Landwehrenheiten 1813 und 1814 in den jeweiligen Landesteilen ausgehoben wurden.


ProvinzFarbe des BesatzesMütze
Infanterie
Reg / Btl
Kavallerie
Reg / Esc
Ostpreußische Landwehr
ziegelrot
5 / 20
5 / 16
Westpreußische Landwehr
schwarz
3 / 12
3 / 12
Pommersche Landwehr
weiß
3 / 20
3 / 15
Neumärkische Landwehr
ponceaurot
3 / 12
2 / 8
Kurmärkische Landwehr
ponceaurot
7 / 27
7 / 29
Schlesische Landwehr
gelb
17 / 68
10 / 40

Anfang 1814 kamen hinzu

Elb Landwehr
hellblau
4 / 16
1 / 5
Westfälische Landwehr
grün (hellgrün)
5 / 19
1 / 6

[Daten aus: Pflug, Landwehrbuch, S.15, S.18 und S.105.] 


Die Landwehren des Frühjahrs 1813 litten unter dem überall herrschenden Mangel und waren nur provisorisch ausgerüstet, daher kann von einer einheitlichen Erscheinung anfangs kaum die Rede sein. In großem Umfang wurden vom Gegner erbeutete Waffen, Uniformen und Ausrüstungsstücke eingesetzt. Erst im Laufe des Sommers wurde die Ausstattung besser. Trotzdem schieden nach der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813 die meisten Landwehren aus dem Heer aus, das Napoleon nach Frankreich verfolgte. Sie waren mit dünnen Leinenhosen, wenigen Mänteln und anderen Ausrüstungsmängeln für die kalte Jahreszeit schlichtweg nicht gerüstet.


Die sogenannten Befreiungskriege begannen im Frühjahr 1813 und dauerte auf deutschem Boden bis zum Oktober an. In der Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.-19.Oktober 1813 gelang es den Alliierten, den französischen Einfluß auf die deutschen Staaten endgültig zu brechen. Bis auf einige besetzt gehaltene strategische Festungen, u.a. Hamburg und Magdeburg, endete die französische Besatzungszeit im Spätherbst 1813. Napoleon zog sich nach Frankreich zurück und wurde bis Paris verfolgt, wo er sich letzendlich geschlagen geben musste und im Mai 1814 abdankte.

Die neuen Landwehreinheiten kamen erst in der zweiten Hälfte der Befreiungskriege in nennenswertem Umfang zum Einsatz. Sie kämpften mit Bravour und standen dem Feldheer schon bald ebenbürtig zur Seite. Dort, wo die Landwehreinheiten sich einmal nicht bewährten, war ihre mangelhafte Ausrüstung stets Mitursache. Berühmt wurde der Sturm der Königsberger Landwehr unter Major Carl Friccus auf das äußere Grimmasche Tor der Stadt Leipzig am 19. Oktober 1813. Die ostpreußischen Landwehrmänner errangen damit den Ruhm, zum Finale der Schlacht als erste in die Stadt selbst eingedrungen zu sein.



II. Formation der Elb-Landwehr


Nach Wiederinbesitznahme der linkselbischen Provinzen dauerte es eine ganze Weile, die preußischen Zivilstrukturen dort wieder aufzubauen. Das Königreich Westfalen, ein von 1807 bis 1813 bestehender künstlich erschaffener 'Musterstaat', regiert von Napoleons jüngerem Bruder Jerome Bonaparte, hatte Strukturen über die Grenzen mehrerer deutscher Fürstentümer und Königreiche errichtet, die größten darunter waren Hannover, Hessen und Preußen. Als die deutschen Fürsten wieder in Ihre alten Besitzstände eintraten, brachen viele dieser Verbindungen abrupt ab.

In den Ende 1813 wieder an Preußen gefallenen ehemaligen Provinzen zwischen Elbe, Weser und Rhein wurde alsbald die Aufstellung von Landwehren verfügt. Weil die notwendigen Verwaltungsstrukturen neu geschaffen werden mussten, verzögerte sich die Errichtung der Elb-Landwehren teils bis zum Februar 1814. Die Aufstellung des ersten Regimentes erfolgte in der Altmark, im neu geschaffenen ersten von drei Elb-Departements:


 Erstes Departement, Altmark

 Kreis Stendal  45,000 Einw. 
 Kreis Neuhaldensleben  56,000 Einw. 
 Kreis Salzwedel  56,000 Einw. 
Summa157,000 Einw.

[ Organisation der Landwehr, S.6 ] 


Ende 1813 wurde festgelegt, welche Gestalt die neue Formation annehmen sollte.


Die Zahl der zu gestellenden Landwehr-Abtheilungen setzte das Militair-Gouvernement am 2. Dezember [1813] auf 3 Regimenter Infanterie, von 4 Bataillonen, zu 800 Mann und 1 Regiment Kavallerie, von 3 Eskadrons, zu 72 Mann, fest, und vertheilte dieselbe ganz gleichmäßig auf die 3 Departements. Bald jedoch wurde der Etat der Kavallerie auf 4 Eskadrons, zu 150 Mann, erhöht, und wegen eingetretener Veränderungen in der Territorial-Eintheilung des 1sten und 2ten Departements bestimmt, dass:

Das erste Departement 3 Bataillone, 2 Eskadrons,
Das zweite Departement 5 Bataillone, 1 Eskadron, und
Das dritte Departement 4 Bataillone, 1 Eskadron,

aufzubringen hätten.

Den Regimentern legte das Gouvernement den Namen " Elb-Landwehr-Regimenter " bei, und bezeichnete die der Infanterie, je nach dem Departement, in welchem sie errichtet waren, mit Nr. 1, 2 und 3.

[ Organisation der Landwehr, S.12 ] 


Im ersten Departement sollten demnach drei Bataillone des 1. Elb-Landwehr Regiments aufgestellt werden, insgesamt etwa 2400 Mann. Zur Rekrutierung der Landwehrmänner hatte man die Altersgruppe zwischen 27 und 40 Jahren vorgesehen. Das Potential an jüngeren wehrfähigen Rekruten sollten den regulären Armeeregimentern vorbehalten bleiben. Über die Zustände in der nun wieder von Preußen verwalteten Altmark wird unter anderem bemerkt:


Auch der Mangel an kriegsfähiger Mannschaft ist sehr fühlbar, indem in den Jahren der Fremdherrschaft eine dreimalige neue Aufstellung der Westphälischen Armee stattgefunden hat, und allein nach dem Russischen Feldzuge noch 4,400 Rekruten ausgehoben werden mußten. Die Jahrgänge 1789 bis 93 sind fast gänzlich durch die verschiedenen Konskriptionen konsumirt.

[ Organisation der Landwehr, S.9 ] 


Die Aufstellung der ersten drei Bataillone des ersten Elb-Landwehrregiments erfolgte zwischen dem 4. und 9. Februar 1814, die des vierten bereits Ende Januar. Mitte Februar waren die vier Bataillone vollzählig. Jedes Bataillon hatte einen Etat von:


Offiziere
Unteroffiziere
Spielleute
Chirurgen
Büchsenmacher
Gemeine
Gesamt
19
60
9
4
1
732
825
[ Organisation der Landwehr, S.16 ] 

Johann von Borcke, ein Zeitzeuge, der nach Auflösung der Armee des Königreiches Westfalen wieder in preußischen Dienst tritt berichtet in seinen Erinnerungen von dieser Zeit.

Von Borcke wird im Februar 1814 als Kapitän (Hauptmann) für das neu aufzustellende 1. Elb-Landwehr Infanterie-Regiment fest angestellt. Er wird zum Kompaniechef in einer Kompanie des 3. Bataillons und begibt sich nach Seehausen bei Stendal, wo dieses Bataillon aufgestellt werden soll.


"Die Schwierigkeiten der Organisation waren große, und kaum begreife ich, wie sie bei dem völligen Mangel aller Hülfsmittel besiegt werden konnten.
Ich besaß einige Erfahrung und Gewandtheit in der Errichtung neuer Truppen, aber bis dahin hatte ich stets einen Stamm von Offizieren und Unteroffizieren vorgefunden, der als Lehrmeister des rohen Haufens dienen konnte. Hier aber fehlte Alles. Die nicht sehr zahlreichen Offiziere und Unteroffiziere der aufgelösten westfälischen Regimenter fanden bei allen den neuen Formationen, die zwischen Elbe und Rhein gleichzeitig begannen, Verwendung; die wenigen, welche das Regiment erhielt, waren von dem Kommandeur, Oberstlieutenant v. Bismarck, sehr ungleich an die vier zu errichtenden Bataillone verteilt und meiner Kompagnie nicht ein einziger gegeben worden. Als ich das Werk begann, sah ich mich an der Spitze eines Haufens von 200 Menschen, denen Alles außer dem guten Willen zum Soldaten fehlte."

[ von Borcke, Kriegerleben, S.294 ] 


Bereits am 11. Januar waren die Kreisausschüsse im 1. Departement zusammengetreten und wählten die Offiziere für die ersten 3 Bataillone, allerdings zunächst nur zur Hälfte der zu besetzenden Posten.


Zum Regiments-Kommandeur wurde auf Ansuchen der Altmärkischen Stände der frühere Oberst-Lieutenant der preußischen Garde, v. Bismark auf Briest, vom König ernannt.

Als Majors und Bataillons-Kommandeurs schlug man folgende, frühere Preußische Offiziere, welche nachher auch die Bestätigung erhielten, vor:

  • für das 1ste Bataillon den Kapitän v. Goldbeck auf Warburg,
  • für das 2te Bataillon den Lieutenant v. Roth,
  • für das 3te den Kapitän v. Jagow auf Crüden.
  • Das 4te Bataillon erhielt im 2ten Departement der Major v. Mav."

[ Organisation der Landwehr, S.16 ] 


Das Offizierskorps setzte sich schließlich zusammen aus ehemaligen preußischen Offizieren, ungedienten Zivilisten und ehemaligen westfälischen Offizieren. Von Borcke, der als ehemaliger Offizier des Königreiches Westfalen eine Herabstufung im Rang hinnehmen musste, berichtet über dieses Offizierskorps:


Bei der Zusammenstellung des Regiments waren der Regiments- und die vier Bataillonskommandeure von den Ständen der Provinz gewählt, dem Könige in Vorschlag gebracht und von diesem bestätigt worden. Sie hatten vor 1806 in unteren Graden in der Armee gestanden, waren seitdem aber außer Dienst gewesen und hatten als Gutsbesitzer ihr Feld bebaut. Aehnliche Bewandtniß hatte es mit den Kapitäns und Lieutenants; von den letzteren hatten viele noch gar nicht gedient. Von den drei meiner Kompagnie zugetheilten Offizieren waren zwei Juristen (Referendarien) und einer gewesener Besitzer einer Zichorienfabrik in Magdeburg, deren Zerstörung durch den Krieg sein Vermögen zerrüttet hatte.

[ von Borcke, Kriegerleben, S.294,f. ] 


Dank des Berichtes des Johann von Borcke wissen wir, wann und wo die Formierung des 1. Elb-Landwehrregiment abgeschlossen wurde. Sein zynischer Kommentar über die politisch festgestellte Einsatzbereitschaft darf wohl als Kritik am tatsächlich eher mangelhaften Ausbildungsstand verstanden werden.


Mitte März vereinigte sich das Regiment bei Stendal, wurde hier von dem Brigadekommandeur, Oberst v. Tippelskirch, gemustert und für tüchtig und felddienstfähig befunden, weil es so von oben herab bereits verfügt war.

[ von Borcke, Kriegerleben, S. 298 f.] 



III. Von Magdeburg nach Waterloo


Noch im Frühjahr 1814 wurde das 1. Elb-Landwehr Regiment Teil des Belagerungsringes um Magdeburg. Nach Übergabe der Stadt am 24. Mai 1814 blieb es im aktiven Einsatz.

Im Sommer 1814 wurde die 1. Elb-Landwehr nach Westfalen verlegt und bezog Quartier im Raum Paderborn. Von hier aus ging es im Oktober zurück nach Sachsen, um die an Preußen abgetretenen Gebiete zu besetzen. Die Bataillone kamen nach Leipzig, Halle, Naumburg und Zeitz, wo sie den Winter verbrachten. Das Regiment bleib auf dem Kriegsfuße und war binnen weniger Tage einsatzbereit, als im Frühjahr 1815 die Nachricht von Napoleons Flucht von der Insel Elba eintraf.

Am 3. April marschierte die 1. Elb-Landwehr aus Sachsen ab, überquerte am 23. April bei Koblenz den Rhein und marschierte in die südlichen Niederlande, heute Belgien. Im Raum Namur - Lüttich einquartiert kam das Regiment zur Blücher'schen Armee. Es wurde der 6. preußischen Brigade, Generalmajor Krafft, im zweiten Armeekorps unter Generalmajor Pirch(I) zugeteilt. Bald darauf verringerte man alle drei Elb-Landwehrregimenter von vier auf drei Bataillone. Aus den herausgelösten Bataillonen bildete man ein viertes Elb-Landwehrregiment, das nach Luxemburg abmarschierte [von Borcke, Kriegerleben, S.301,ff.].




IV. Schlacht von Ligny, 16. Juni 1815


Am 15. Juni wird das Regiment gesammelt und marschiert die ganze Nacht hindurch. In Sombreffe, wo Feldmarschall Blücher seine Armee zusammenzieht, trifft es erst am späten Vormittag des 16. Juni ein. Gegen Mittag bezieht die 1. Elb-Landwehr zusammen mit den anderen beiden Regimentern der Brigade Krafft Aufstellung in der zweiten Schlachtlinie, und zwar im Bereich zwischen Brye und Sombreffe, siehe die nachstehende Karte.

In der Schlacht wird das Regiment erst spät eingesetzt. Während das zweite Bataillon schon in Ligny kämpft, erhalten das erste und dritte Bataillon - I./1EL und III./1EL - gegen 19:00 Uhr den Befehl zum Vorgehen. Von Borcke beschreibt in seinem Bericht, wie sein Bataillon von Brye aus auf das bereits seit vielen Stunden heiß umkämpfte Ligny vorrückt und alsbald unter Beschuß der französischen Artillerie gerät.


Wir überschritten die Höhen, welche uns bisher gedeckt hatten, und wurden bald, als wir das Dorf vor uns sahen und der Feind die frisch anrückenden Truppen bemerkte, aus der französischen Artillerie-Aufstellung jenseits Ligny beschossen. Vorläufig thaten uns die Kanonenkugeln aber noch keinen Schaden; sie schlugen vor uns auf und rikochettirten über unsere Köpfe hinweg oder sie rollten, und man wich ihnen aus. Inzwischen näherten wir uns dem Punkte des Angriffs und kamen so mit ganz unbedeutenden Verlusten aus dem Artilleriefeuer heraus.

[ von Borcke, Kriegerleben, S.307 ] 




Zentraler Bereich des Schlachtfeldes von Ligny mit ungefährer Aufstellung des 1. Elb-Landwehr Regimentes und Vorgehen.

[ Karte nach Brügner / Kolbe aus: Wagner, Pläne der Schlachten und Treffen. ]


Das dritte Bataillon des 1. Elb-Landwehrregiments befindet sich auf dem linken Flügel und rückt gegen den linken Teil Lignys vor. Von Borcke formiert das dritte Glied des Bataillons zur Schützendivision, die noch weiter links am Ortsrand die Flankendeckung am Ligny-Bach übernimmt. Wie fast alle preußischen Einheiten an diesem Tage verbeißen sich die Elb-Landwehrmänner in das Ortsgefecht mit den vorrückenden Franzosen. Links vom Ort bricht bei von Borckes Schützendivision die Ordnung schnell zusammen. Da die Franzosen jedoch an dieser Stelle nicht vordringen, gelingt es den Schützen, ihre Stellung bis zum Einbruch der Dunkelheit zu behaupten. Wie es dem im Ort kämpfenden Gros des Regiments erging, kann von Borcke leider nicht berichten. Wir wissen lediglich aus den Berichten anderer Regimenter, dass dort verbissen um jedes Haus gefochten wurde.


Von meinem Bataillon sah und hörte ich nichts mehr seit dem Augenblick meiner Trennung von ihm; Befehle erhielt ich von keiner Seite, ich blieb also ganz mir selbst überlassen, um so mehr, als ich in dem bedeckten Gelände keine Umschau zu halten und nicht zu erkennen vermochte, wie es mit dem Angriff auf Ligny und dem allgemeinen Stand der Schlacht bestellt war.

[ von Borcke, Kriegerleben, S.309 ] 


Über die Gefechtshandlungen der 1. Elb-Landwehr ist nur wenig Detailliertes zu erfahren. Festzuhalten ist, dass die Kommandeure des zweiten und des dritten Bataillons der 1. Elb-Landwehr, Major Ferdinand v. Schleicher und Major Thomas von Jagow, bei Ligny gefallen sind. Da beide Bataillone im Ort Ligny selbst fochten, ist von einem harten Einsatz auszugehen. Der Regimentskommandeur, Oberstleutnant von Bismark, fiel noch am 20. Juni in den Kämpfen vor Namur gegen das sich zurückziehende Korps unter Grouchy. Die Kämpfe bei Namur erscheinen nutzlos, da der Sieg der Alliierten bereits sicher war. Man darf aber nicht vergessen, dass der weitere Vormarsch nach Paris noch einige Kämpfe mehr brachte. Doch zurück nach Ligny.

Die Beschreibung der Kampfhandlungen der Schützenabteilung, die von Borcke aus dem dritten Glied des 3. Bataillons 1. Elb-Landwehr formierte und östlich neben Ligny ins Gefecht führte ist ernüchternd und dabei erstaunlich frei von heldenhaftem Pathos. Von Borcke berichtet offen, wie ihm jegliche Ordnung und Führung in der Praxis entgleitet. Seine Landwehrmänner führen in heilloser Unordnung, von heutigen Soldaten spöttisch " Formation wilde Wolke" genannt, ein unkoordiniertes Schützengefecht. Verwundete oder Leute, die ihre Patronen verschossen haben gehen ohne Befehl einzeln oder in kleinen Gruppen zurück. Den Kontakt zu den benachbarten Einheiten hat man komplett verloren.

Mit Einbruch der Dunkelheit zieht sich auch von Borcke mit den Resten seiner Männer zurück. Das Gros des Regiments ist längst zurückgewichen, ohne dass von Borcke es bemerkt hat. Den Ausgang der Schlacht kann er nur vermuten.

Etwas pathetisch heldenhafter geht es demgegenüber im Landwehrbuch zu. Der Autor schreibt:


Nicht minder brav hatten sich links von Ligny das 1. Bataillon des 1. westfälischen und das gesamte 1. Elb-Landwehr-Regiment behauptet. Ein fester Halt war überhaupt schon wieder über die geschlagenen preußischen Truppen gekommen. Was flüchten wollte, war geflüchtet, und um Bry und Sombreffe begannen die schnell ihre Ordnung wieder gewinnenden preußischen Abtheilungen bereits eine erneute Schlachtordnung zu bilden. Mit Einbruch der Dunkelheit stellte der Feind die vergeblichen Versuche ein, aus dem erfochtenen Siege noch neue Vortheile zu ernten.

[Pflug, Landwehrbuch, S. 135]


Viel ist darüber philosophiert worden, warum Blücher die Schlacht von Ligny verloren hat. Richtig ist wohl, dass er auf die Vereinigung mit oder zumindest die Unterstützung durch Wellington gehofft hatte an jenem Tag - leider vergeblich. Doch die preußische Aufstellung selbst hatte erhebliche Defizite:
Das IV. Korps Bülow fehlte zur Schlacht und das III. Korps Thielemann stand am linken Flügel fast unbeteiligt herum. So trugen das I. Korps Ziethen und das II. Korps Pirch(I) die Hauptlast der Kämpfe weitgehend allein. Zudem hatte das Ziethen'sche Korps schon die Rückzugsgefechte des Vortages geführt. Noch schlimmer: Das plötzlich an der rechten preußischen Flanke auftauchende französische Korps d'Erlon hätte die Schlacht und vielleicht den ganzen Feldzug an diesem Tag entscheiden können. Hätte es die rechte Flanke der Preußen umgangen, wäre Ligny kaum mehr zu halten gewesen und auch der nachfolgende Rückzug nach Wavre wäre unmöglich geworden. Zum Glück für Blücher lief auch in Napoleons Armee einiges schief an diesem 16. Juni 1815.

Im Gegensatz zur Situation im Jahr 1806 setzte nach der Schlacht bei Ligny keine planlose Flucht ein. Nach anfänglichen Gerüchten, Feldmarschall Blücher sei bei Ligny gefallen, wird bereits in der Nacht bekannt, dass er nur ein paar äußerliche Blessuren davongetragen hat. Der allgemeine Rückzug wird von Gneisenau in Richtung Wavre festgelegt und dieser Befehl an so viele der verstreuten Einheiten weitergegeben, wie in der dunklen Nacht irgend möglich.



V. Waterloo und Namur


Im Verlauf des 17. Juni sammelte sich Blüchers Armee bei Wavre um am 18. noch einmal die Vereinigung mit dem britisch alliiierten Heer zu versuchen. Das II. Korps von Generalmajor Pirch(I) verliess Wavre erst am späten Vormittag des 18. Juni. Im Ort selbst hatte es zahlreiche Brände gegeben, was den Durchmarsch stark behinderte. Die Brigaden der einzelnen Korps lagen zum Teil sehr zerstreut. Nach von Borckes Bericht marschierte sein 3. Bataillon des 1. Elb-Landwehrregimentes erst gegen 16:00 Uhr aus Wavre ab und erreichte das Defilé bei Saint Lambert erst gegen 20:00 Uhr. Auf dem weiteren Marsch kommen seiner Einheit große Mengen Verwundeter entgegen, darunter zahlreiche schlesische Landwehrmänner.


Ganze Schaaren Verwundeter, besonders von der schlesichen Landwehr, strömten uns entgegen, und die Stimmung wurde noch mehr belebt, als man sah, daß diese Verwundeten, ihre Schmerzen vergessend, guten Muth zeigten und im Vorübergehen verkündeten, es gehe Alles gut, und wir sollten nur machen, unserer Theil noch zu bekommen.

[von Borcke, Kriegerleben, S.316] 


Die 6. Brigade, Generalmajor Krafft, erreichte die Ortschaft Plancenoit erst gegen Abend, als sich die französische Armee bereits in vollem Rückzug befand und es schon dämmerte. Die Brigade marschierte dem sich zurückziehnden Feind entgegen und entwickelte sich noch in Gefechtslinie, das dritte Bataillon dessen Kommando von Borcke mittlerweile inne hatte als letztes. Man setzte dem Feind so noch nach, bis die Dunkelheit vollends einbrach und der Jubel des Sieges die alliierten Linien entlanghallte. An den Kämpfen bei Plancenoit hatte die 1. Elb-Landwehr deshalb keinen Anteil mehr.

Nach kurzer Ruhe auf dem Schlachtfeld brach die Brigade Krafft gegen Mitternacht wieder auf. In eiligem Marsch ging es über Maransart und Bousseval nach Melioreux, wo gerastet wurde. Am 20. Juni morgens ging der Marsch weiter und gegen Mittag erreichte man Namur. Zu spät, denn das sich das im Rückzug befindliche französische Korps Grouchy hatte sich bereits der befestigten Stadt bemächtiget. Dennoch erhielten preußische Einheiten, unter ihnen die 1. Elb-Landwehr, den Befehl zur Erstürmung Namurs. Nachdem das erste und zweite Bataillon der 1. Elb-Landwehr bereits eine blutige Zurückweisung vor dem Tor und den mit Artillerie und Infanterie bemannten Wällen erhalten hatten rückt auch von Borcke mit dem 3. Bataillon vor. Doch gerade als sein Bataillon zum Sturm schreitet, wird der Angriff abgebrochen, da Grouchy nach Süden abzieht. Das Regiment verlor vor Namur seinen Kommandeur, Oberstleutnant von Bismark den (erst 4 Tage zuvor nachgerückten) Kommandeur des zweiten Battaillons, von Czettritz, und zahlreiche weitere Männer.



VI. Marsch auf Paris und Rückkehr nach Preußen


Nach dem Desaster vor Namur wurde die Armee umgruppiert, da weitere Kräfte der Alliierten nach Frankreich vorstießen. Die 6. Brigade erhielt Befehl, zunächst auf Avesnes und Landrecies zu marschieren. Avesnes hatte sich bereits ergeben, als das 1. Elb-Landwehr Regiment dort eintraf. Das erste Bataillon ließ man vor Avesnes zurück, der Rest erreichte am 25. Juni Landrecies. Das dritte Bataillon unter von Borcke erhielt aber am 27. Juni Order gegen Rocroy vorzugehen und dies einzuschliessen.


Ich erhielt meinen Posten mit dem Bataillon, dem Füsilier-Bataillon Colbergschen Regiments und einer Escadron bei dem Dorfe Guet d'Hoffus auf der Straße nach Marienbourg, in einer rauhen und wilden Gegend der Ardennen.

[von Borcke, Kriegerleben, S.324] 


Bereits einige Tage später wurde das Bataillon nach Merle geschickt, wieder einige Tage später zurück nach Rocroy. Dort bereitete man die Erstürmung des Ortes vor. Da ausreichend Truppen zur Hand waren, wurde die 6. preußische Brigade ausgesandt, die nächstfolgende Festung Givet einzuschliessen.

Am 30. Juli erreichte die 6. Brigade den Ort. Von Borckes 3. Bataillon bezog Stellung auf dem rechten Ufer der Maas und besetzte das Dorf Fromelenne, welches dem Fort Mont d'Haure vorgelagert liegt. Die Zeit der Belagerung war anstrengend für die Elb-Landwehrmänner, die Gegenwehr der Festung blieb an dieser Stelle jedoch überraschend gering. Die Belagerung gestaltete sich darum für das 3. Bataillon friedlicher als erwartet, zog sich aber bis Ende September hin, weil der Kommandant von Givet sich nicht für den König erklärte. Von Borcke schreibt:


Wir näherten uns der Mitte des September; in dieser rauhen Ardennengegend rückte die üble Jahreszeit rasch heran, es regnete viel und die Nächte wurden kalt, viele Leute erkrankten, namentlich an Augenleiden, und die Bataillone wurden immer dünner. Es war eine traurige Zeit, die wir hier verlebten, währen der größere Theil unserer Waffenbrüder sich in Paris und den schönen südlichen Provinzen Frankreichs seit Monaten ausruhte und pflegte, aber doch war sie nicht ganz freundenleer. Die Kameradschaft bot uns nach des tages Lasten, Mühen und Gefahren am Abend in trauter Vereinigung in der elenden Strohhütte Unterhaltung und Scherz bei einem Glase Wein, der als gelieferter zwar nicht von der besten Sorte aber reichlich vorhanden war.

[von Borcke, Kriegerleben, S.334] 


So verstehen es die Elb-Landwehrmänner, sich den Umständen entsprechend zu trösten. Ende September ging das Regiment im Departement Aisne in Kantonierung, also ins Winterlager. Das 1. Bataillon kam nach Hirson, das zweite nach La Capelle das 3. nach Nouvion en Thierache. Eiserne Kreuze wurden verliehen. Auch von Borcke wird, sehr zu seinem Erstaunen, bedacht. Dagegen behält er das Bataillonskommando nicht, denn es wird ihm ein neuer Kommandeur vorgesetzt.

Mitte November trat die 1. Elb-Landwehr ihren Heimmarsch an, ging bei Koblenz über den Rhein und über Hessen, Erfurt und Halle nach Magdeburg. Am 19. Dezember erreichte das Regiment Stendal.


Die, welche wiederkehrten, wurden von den aus der ganzen Provinz zusammengeströmten Ihrigen in Jubel und Freude empfangen, die Fehlenden, und ihre Zahl war groß, schmerzlich beweint. Alle aber, zu Gefahren, Freud' und Leid so lange im Regiment vereinigt gewesenen Gefährten, Freunde und Kameraden, riß in einem Augenblick das letzte Kommando "Gewehr ab!" auseinander, hierhin und dorthin wurden sie zerstreut, und das erste Elb-Landwehr-Infanterie-Regiment war nicht mehr, mit diesem Augenblick erlosch selbst sein Name.

[von Borcke, Kriegerleben, S.338] 



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